Welche ergonomischen Konzepte zur Steigerung der Bewegung an Büroarbeitsplätzen haben sich in der Praxis bewährt?

Einleitend stellt sich die Frage nach den Zielen, wenn vorhandene Büroarbeitsplätze, unabhängig ob im territorialen, non-territorialen oder im Homeoffice angesiedelt, unter ergonomischen Gesichtspunkten gestalten werden. Im Wesentlichen sind dies zwei Ziele: Die Erhaltung oder Besserung der individuellen Gesundheit auf der personellen Ebene und die Steigerung der Produktivität auf der unternehmerischen Ebene.

Lesen Sie hier die gesamte Ausgabe der AGR aktuell Nr. 57 vom Mai_2017

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Einflussgröße des persönlichen und unternehmerischen Vorteils

Die Einflussgröße, um einen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, ist die Häufigkeit des Haltungswechsels zwischen Sitzen und Stehen (Garrett et al. 2016; Krüger 2005). Diese Häufigkeit des vertikalen Haltungswechsels sollte einfach und schnell möglich sein, denn nur so erlangen wir die nötige Akzeptanz für eine nachhaltige Verhaltensänderung (Krüger 2005). Je mehr dieser vertikale Haltungswechsel gelebt wird, desto mehr körperliche und geistige Bewegung während der Arbeitszeit.

Abb. 1: Die Folgen eines häufigen Haltungswechsels zwischen Sitzen und Stehen sind neben einer zu erwartenden Zunahme der Stehzeit insbesondere eine Zunahme des allgemeinen physischen und psychischen Wohlbefinden und eine deutlich gesteigerte Produktivität (vgl. Garrett et al. 2016).

 

Gesundheitlicher Nutzen

Dies hat zunächst einen gesundheitlichen Nutzen, der sich hypothetisch in allen Organsystemen zeigen kann und präventiv gegen fast alle „klassischen Volkskrankheiten“ wirkt, wie erst die jüngst publizierte „Global Burden of Disease Study 2015“ (Murray et al. 2016) zeigt. Dazu gehören:

  • Herz-Kreislauferkrankungen, v.a. Coronare Herzkrankheit
  • Gefäßerkrankungen, v.a. Schlaganfälle
  • Atemwegserkrankungen
  • Stoffwechselerkrankungen, v.a. Diabetes Typ II und Adipositas
  • Krebserkrankungen, v.a. Darmkrebs
  • Orthopädische Erkrankungen, v.a. Lenden- und Nackenschmerzen
  • Psychische Erkrankungen, v.a. Depressionen

 

Wirtschaftlicher Nutzen

Neben dem gesundheitlichen Nutzen stellt sich jedoch, wie in der Abb. 1 anhand der Produktivität bereits zu sehen ist, mittel und unmittelbar auch ein wirtschaftlicher Nutzen ein. Diesen wirtschaftlichen Nutzen können wir neben den aktuellen Produktivitätszahlen aus dem vergangenen Jahr (Garrett et al. 2016) auch konkret an einem Return-on-Investment festmachen, was Krüger (2005) in einer fünfjahres-Langzeitstudie dargestellt hat. Als Ergebnis dieser Studie zeigte sich eine Nutzen-Kosten-Verhältnis („Benefit-Cost-Ratio“) von 12,09. Mit anderen Worten: Für jeden investierten Euro beim officeplus-Stehpulteinsatz ergibt sich ein Return-on-Investment von etwa 12,- €. Dieses Verhältnis übersteigt die häufig im Rahmen von Evaluationsstudien ermittelten Verhältnisse zwischen 3 und 8 (Krüger 2005).

Abb. 2: Der Return-on-Invest beim Einsatz einer officeplus Sitz-Stehdynamik liegt gerundet bei 12 Euro (vgl. Krüger 2005).

 

Konzepte einer Büroarbeitsplatzoptimierung

Nun wissen wir, dass uns diese Bewegung hilft. Uns persönlich und unserem Unternehmen. Welche Konzepte für die Büroarbeitsplatzoptimierung bieten sich nun für einen nachhaltigen Erfolg an? Grundsätzlich differenzieren wir von officeplus zwischen zwei Konzepten:

  • Das sog. „vertikale Flächenkonzept“
  • Das sog. „vertikale Zonenkonzept“

Beide Konzepte beschreiben zunächst den Haltungswechsel in der Vertikalen, also den Wechsel vom Sitzen zum Stehen und vom Stehen zum Sitzen, unabhängig der Sitzhöhe. Essentiell dabei ist der Haltungswechsel selber, da dieser den dynamischsten Teil der Körperbewegungen am Büroarbeitsplatz mit der größten Organbeteiligung ausmacht. Freies Sitzen und mehr noch Stehen sind durch die physiologischen posturalen Schwankungsmuster auch Bewegung, bedürfen jedoch nicht einem so großen motorischen Anspruch wie der Haltungswechsel selber.

Abb. 3: Die beiden vertikalen Bewegungskonzepte von officeplus: Das vertikale Flächenkonzept mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch (Mitte) und das vertikale Zonenkonzept mit dem Tischstehpult „desk“ rechts. Beide Konzepte können auch mit mobilen officeplus-Stehpulten (links) oder mobilen, höhenverstellbaren Kleintischen realisiert oder ergänzt werden (s. auch Abb. 6).

Das vertikale Flächenkonzept (Abb. 3 Mitte und Abb. 6 Mitte) beschreibt den Haltungswechsel vom Sitzen zum Stehen mit der gesamten Arbeitsfläche, was durch höhenverstellbare Tische erreicht wird. Dieses Konzept hat die größere Verbreitung unter den Haltungswechselkonzepten, zeigt jedoch Schwächen in der praktischen Umsetzung, insbesondere beim Haltungswechsel aus dem „tiefen“ Sitz. Hier scheint die Umsetzung für die Entwicklung eines „Bewegungsautomatismus“ zu groß, was uns die geringen vertikalen Bewegungsfrequenzen in der Praxiserfahrung zeigen. Auch der Einsatz eines Balanceboards oder eine Balancematte für ein zusätzlich bewegtes Stehen ist hier erschwert, da dieses nach der Einnahme des Standes zunächst herangezogen werden muss. Von einem Einsatz eines Gehbandes ganz zu schweigen…

Das vertikale Zonenkonzept (Abb. 3 rechts und Abb. 6 rechts) beschreibt den Haltungswechsel vom Sitzen zum Stehen ohne Arbeitsflächenhub. Dies wird durch verschieden hohe Arbeitszonen, deren Zuständigkeiten genau definiert sein sollte (sog. „Arbeitsdiversifikation“, z.B. im Stehen die gesamte Kommunikation nach außen, wie telefonieren, Mailing und die Terminverwaltung) erreicht, hier am Beispiel des „officeplus Desk“ als Aufsatz auf den tiefen Schreibtisch. Das vertikale Zonenkonzept zeigt eine nachhaltige Etablierung eines häufigen Haltungswechsels (Nakovics & Steiner 1997):

Abb. 4: Die nachhaltige Etablierung eines häufigen Haltungswechsels n. Krüger (2005) zeigt selbst nach 5 Jahren des officeplus-Tischstehpulteinsatz bei knapp 70% der Studienteilnehmer einen täglichen Haltungswechsel zw. 10 und 30.

Ein weiterer, mitentscheidender Vorteil des vertikalen Zonenkonzeptes mit einem Tischstehpult ist die effektive Umsetzung des bewegten Stehens (vgl. Otte 2016). Neben speziellen Fußstützen für Steharbeitsplätze (Abb. 5), die problemlos in alle vertikalen Bewegungskonzepte integriert werden können (s. Abb. 6), bietet sich insbesondere die Verwendung von „Balancierboards“ an, da diese dauerhaft vor dem Tischstehpult positioniert bleiben. Diese müssen also nicht wie bei dem vertikalen Flächenkonzept weggeschoben resp. herangezogen werden. Diese Hilfen für bewegtes Stehen können einen entschiedenen gesundheitsförderlichen Beitrag durch eine dynamische Verlängerung der Stehzeiten leisten und damit eine Reduktion der Sitzzeiten. Ohne ergonomische Hilfsmittel wie Fußstützen, Balancierboards oder auch Armauflagen entsteht schnell ein, als belastend empfundenes, statisches Stehen.

Abb. 5: Beispiel für einen einfachen Belastungswechsel im Stehen am Schreibtisch mit Hilfe einer speziellen Fußstütze.

In beiden Konzepten der Büroarbeitsplatzoptimierung lassen sich wunderbar mobile Stehpulte integrieren (s. Abb. 3 links und Abb. 6 links). Diese bieten neben der vertikalen Mobilität die Möglichkeit der ortsunabhängigen Mobilität als Ergänzung zum Schreibtisch. Entweder man nutzt diese als zusätzliche Arbeitszone neben einem Schreibtisch oder man nutzt das vertikale Flächenkonzept auch mobil mit einem stromlosen officeplus Minitisch. Dadurch wird eine ortsverändernde Mobilität innerhalb des (Home-)office möglich.

Abb. 6: Darstellung der verschiedenen arbeitsintegrierten Bewegungskonzepte: Am rechten Arbeitsplatz wird das vertikale Zonenkonzept mit dem individuell einstell- und ergänzbaren Tischtehpult officeplus-Desk dargestellt und in der Mitte das vertikale Flächenkonzept mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch. Beide Konzepte können durch ein multifunktionales, mobiles Stehpult, wie im linken Bildbereich dargestellt, ergänzt werden.

 

Zusammenfassung

Die Häufigkeit des Haltungswechsels scheint die entscheidende Einflussgröße zur Gesundheitsprävention und Produktivitätssteigerung. Um einen häufigen vertikalen Haltungswechsel zw. Sitzen und Stehen nachhaltig zu etablieren, bieten sich zwei Konzepte an. Neben dem bereits mittels höhenverstellbaren Tischen relativ weit verbreiteten vertikalen Flächenkonzept scheint das vertikale Zonenkonzept mit Tischstehpulten im Vorteil zu sein. Neben ein mehr an Bewegung führt es auch zu einem mehr an Produktivität. Beide arbeitsintegrierten Bewegungskonzepte  können wunderbar durch multifunktionale, mobile Stehpulte oder mobile Minitische für einen steten Ortswechsel ergänzt werden.

 

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Bleiben Sie in Bewegung!

Ihr Christof Otte

 

Literatur

Garrett, G. et al. (2016) Call Center Productivity Over 6 Months Following a Standing Desk Intervention. In: IIE Transactions on Occupational Ergonomics and Human Factors 4 (2-3), S. 188ff.

Krüger, D. (2005) Evaluation des Einsatzes von officeplus Stehpulten bei der Drägerwerk AG (1997 – 2003). Officeplus GmbH (Hrsg.), Rottweil.

Murray, C. J. L. et al. (2016) Global, regional, and national life expectancy, all-cause mortality, and cause-specific mortality for 249 causes of death, 1980–2015: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2015. In: Lancet 388, S. 1459ff.

Nakovics, H.; Steiner, H. (1997) Die Reduktion körperlicher Beschwerden durch den Einsatz eines Stehpultes. In: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 1, 33ff.

Otte, C. (2016) Mehr Bewegung durch dynamisches Stehen. In: AGR aktuell 22 (2), S. 26f.

 

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