Die motorische Steuerung und Regelung der Augen (Okulomotorik) als auch die motorische Steuerung und Regelung der Wirbelsäule (Vertebralmotorik) sind funktionell eng miteinander verschaltet. Dieses Zusammenspiel beider motorischer Systeme wird als Visuomotorik bezeichnet [6]. Zusammen mit dem Gleichgewichtssystem (vestibulären System) sind diese maßgeblich für das körperhaltungsregulierende System verantwortlich. Durch langandauernde monotone Tätigkeiten an Bildschirmarbeitsplätzen kann es leicht zu sich gegenseitig bedingenden Funktionsstörungen dieser motorischen Systeme kommen.

Die visuellen Informationen und damit die Blickziele mit der einhergehenden Verlagerung der Blickachse spielen eine entscheidende Rolle bei der Körperorientierung im Raum. Der Blick ist die visuelle Achse im Raum, zusammengesetzt aus der Position des Auges relativ zur Umgebung, die Position des Auges relativ zum Kopf und die Position des Kopfes relativ zur Umgebung und damit auch relativ zum restlichen Körper [vgl. 5]. Die Netzhaut im Auge ist für die dynamische Haltungskontrolle wichtig [1], weil dort das visuelle Raumorientierungssystem seinen Ausgangspunkt hat [10]. Hinzu kommen die Spannungsinformationen der äußeren Augenmuskeln. So kann eine Vibrationsstimulation der äußeren Augenmuskeln eine Bewegungsillusion der Augen mit dem Eindruck einer visuellen Zielobjektverschiebung und entsprechend veränderten Körperhaltungen hervorrufen [11].

Kopplung von Wirbelsäulen- und Augenmotorik

Die Informationen aus den Meldeorganen des Bewegungsapparates (insbesondere der Wirbelsäulenmuskulatur), der Gleichgewichtsorgane im Innenohr und der Augen werden auf Ebene des Hirnstammes integriert [6; 8].

Abb. 1: Schematische Darstellung der Kopplung der Wirbelsäulen- und Augenmotorik (=Visuomotorik) in den Kerngebieten des Gleichgewichtsnervs (Bildquelle: Garten 2016, Elsevier).

So sind die äußeren Augenmuskeln und die äußeren Muskeln der tiefen Wirbelsäulenschicht gleichsinnig angesteuert und ebenso die inneren Augenmuskeln und die inneren Muskeln der tiefen Wirbelsäulenschicht. So bilden die äußeren und die inneren tiefen Muskelsysteme der Wirbelsäule jeweils ein gleichsinniges Bewegungsmuster, wenn die Bewegungsrichtung von den Augen vorgegeben wird. Die Augenmotorik stellt somit eine Möglichkeit dar, die nicht willentlich aktivierbare Wirbelsäulenmuskulatur indirekt willkürlich über die Augenbewegungen zu beeinflussen [vgl. 4].

Wird die Bewegung jedoch von einer Kopfdrehung vorgegeben, kehren sich die Verhältnisse um: Eine Drehung des Kopfes nach rechts bewirkt eine Augenbewegung in die entgegengesetzte Richtung, also nach links (der Blick bleibt auf das Ziel gerichtet). Dies trägt dazu bei, dass die Augen einen Fixpunkt bei einer sich verändernder Kopfposition halten können [8; 9].

Konsequenzen motorischer Funktionsstörungen

Eine Spannungsstörung der äußeren Augenmuskeln, wie z.B. durch eine chronische Blickausrichtung auf einen Monitor (chronische Blickfixierung in der Nähe), kann zu einem fehlerhaften Körperhaltungsprogramm mit z.B. immer wiederkehrenden, schmerzhaften Funktionsstörungen der Wirbelsäule führen [8].

Abb. 2: Bildschirmgebundene Arbeitsplätze begünstigen isolierte Augenbewegungen durch das kleine und nahe Sichtfeld auf den PC-Monitor. Dies kann Ursache schmerzhafter, isometrischer Nackenspannungen sein. Dynamisch gelagerte Bürostühle können hingegen einen Beitrag einer höheren motorischen Aktivität der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur leisten. (Bildquelle: Haider Bioswing GmbH, Pullenreuth)

Die Funktionsstörung der äußeren Augenmuskeln wiederum kann durch Aktivitätsstörungen des zentralen Nervensystems infolge von Fehlinformationen aus den Muskeln der Wirbelsäule begründet sein, z.B. bei Bewegungsmangel durch lang sitzende Tätigkeiten oder einseitigen Haltungen. Damit können motorische Störungen der äußeren Augenmuskeln sowohl als Ursache wie als Folge von Abweichungen der Haltungsreaktion in Frage kommen. Konvergenz- und Fusionsschwächen (d.h. nicht zur Deckung bringen der Bilder beider Augen) sowie eine Vergrößerung des blinden Flecks im Auge mit einer entsprechenden Einschränkung des Sichtfeldes können die Folge sein. So zeigen sich häufig Besserungen von Konvergenz- und Fusionsschwächen sowie von Sichtfeldeinschränkungen nach der chiropraktischen Beseitigung primärer oder sekundärer Funktionsstörungen der Wirbelsäule, insbesondere der Halswirbelsäule [8; 3].

Bildschirmarbeiter sind Eye-Mover

Wir Menschen sind geborene Head-Mover. Als Kleinkinder verfolgen wir Objekte v.a. mit Kopfbewegungen und weniger mit isolierten Augenbewegungen. Mit zunehmender visueller Entwicklung wird die Kopfbewegung reduziert und es werden zielsichere und genauere Augenfolgebewegungen eingesetzt [2]. Deutlich zeigt sich hier der Einfluss der Schule auf die Blickmotorik: Zu Beginn des ersten Schuljahres sind laut einer Studie von Beyer et al. [2] 100% der Kinder Head-Mover. Mit der beginnenden Schulzeit und der damit einhergehenden Blickfixierung auf Heft, Buch und Tafel und der damit nur noch geringen Kopfbewegung sind am Ende des ersten Schuljahres nur noch 42% Head- und 58% Eye-Mover. Dies zeigt den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Visuomotorik, welches unsere moderne Lebensweise mit zunehmend bildschirmgebundenen Arbeitsplätzen weiter begünstigt. Bildschirme verlangen nur noch sehr kleine Blickbewegungen, die rein mit den Augen bei ruhiger Kopfhaltung durchführbar sind (vgl. Abb. 2). Dies wird mit als Ursache für Nackenbeschwerden und Spannungskopfschmerz verantwortlich gemacht [7]. Sämtliche Nackenmuskeln werden nur noch statisch (isometrisch) als Kopfhaltemuskeln belastet um einen Fixpunkt für die sich dynamisch auf die Blickziele innerhalb des PC-Bildschirms bewegenden Augen zu bilden. Dies führt rasch zu deren Tonussteigerung mit einer damit einhergehenden ungünstigen Stoffwechselsituation. Es kommt zu muskulären Schmerzen oberflächlicher Nackenmuskeln bis hin zu Spannungskopfschmerzen [2].

Beyer et al. [2] kommen in ihrer Studie an Patienten mit Nacken-Schulter-Beschwerden zu der Erkenntnis, dass die Umstellung des Stereotyps in Richtung Eye-Mover mit einer erhöhten Erkrankungsprävalenz einhergeht. Bei sportlich aktiven Menschen zeigt sich ein größerer Anteil an Head- denn an Eye-Movern. Dies zeigt die Bedeutung körperlicher Bewegung in der freien Natur (weite, breit gestreute Blickziele), insbesondere für Menschen mit bildschirmgebundenen Arbeitsplätzen.

Fazit für die Praxis

Die visuellen Informationen spielen eine entscheidende Rolle bei der Körperorientierung im Raum. Die Augen- als auch die Wirbelsäulenmotorik sind eng miteinander verschaltet (Visuomotorik) und bedingen sich gegenseitig. Störungen in einem dieser motorischen Systeme können sich im Sinne einer funktionellen Störung auf das andere System auswirken. Bildschirmarbeit fördert eine rigide Kopfhaltung und isolierte Augenbewegungen, was unserem Naturell als Kopfbeweger (Head-Mover) entgegenläuft. Deswegen sind folgende Verhaltensweisen gerade für Menschen an Bildschirmarbeitsplätzen besonders wichtig:

  • Regelmäßig die Blickfixierung auf den Bildschirm unterbrechen und den Blick aus dem Fenster in die Ferne schweifen lassen.
  • Spätestens alle 10 Minuten den Kopf einmal maximal im schmerzfreien Bereich nach links und rechts drehen, nach oben Richtung Decken schauen und nach unten auf den eigenen Bauch schauen, um die Isometrie der Nackenmuskulatur aufzuheben.
  • Zwischen stehender und dynamisch sitzender Arbeitshaltung wechseln (Steh-Sitz-Dynamik), um einen erhöhten Informationsinput an die zentralmotorischen Strukturen zu generieren.
  • Das Arbeitsumfeld auf dem Schreibtisch nicht zu eng halten, um Kopfbewegungen zu provozieren. Vorlagenhalter zw. Tastatur und Bildschirm sind in diesem Zusammenhang kritisch zu sehen, da die Vorlagen hier nicht das Blickfeld verlassen.
  • Eine körperlich aktive Freizeitgestaltung, z.B. durch Sport in der freien Natur. Sport in Fitnessstudios bringt diesbezüglich den Nachteil mit sich, keine große Blickweite zu haben und möglicherweise wieder auf Monitore zu starren.

Abb. 3: Eine bewegungsfördernde Arbeitsumgebung mit der Möglichkeit der nachhaltigen Etablierung von Geh-, Steh- und Sitzdynamik leistet einen wesentlichen Beitrag für eine gesunde Visuomotorik. (Bildquelle: Officeplus GmbH, Rottweil).

Bleiben Sie in Bewegung!

Ihr officeplus-Team

 

Quellen

  1. Berthoz, A. (1974) Oculomotor activity and proprioception. In: Rev Electroencephalogr Neurophysiol Clin 4(4), 569-586.
  2. Beyer, L.; Seidel, E.J.; Grein, H.J.; Hartmann, J. (2007) Individuelle Stereotype der Koordination von Kopf- und Augenbewegungen. Ursache von Nacken und Schulterschmerzen? In: Manuelle Medizin 545(6).
  3. Carrick, F.R. (1997) Changes in brain function after manipulation of the cervical spine. In: J Manipulative Physiol Ther 20, 529-545.
  4. Corneil, B.D.; Olivier, E.; Munoz, D.B. (2004) Visual responses on neck muscles reveal selective gating that prevents express saccades. In: Neuron 42(5), 831-841.
  5. Cullen, K.E.; Guitton, D. (1997) Analysis of primate IBN spike trains using system identification techniques. II. Gaze versus eye movement based models during combined eye-head gaze shifts. In: J Neurophysiol 78(6), 3283-3306.
  6. Friedrich, M.; Seidel, E. (20171) Sehverhalten, visuelle Defizite und Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit Motorik-, Haltungs- und Gleichgewichtsstörungen (MHG). In: Friedrich, M. (2017) Interdisziplinäre Optometrie. DOZ, Heidelberg.
  7. Friedrich, M.; Seidel, E. (20172) Sehverhalten, visuelle Defizite und Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit Störungen der Kopf-Augen-Bewegung (KAB). In: Friedrich, M. (2017) Interdisziplinäre Optometrie. DOZ, Heidelberg.
  8. Garten, H. (2016) Applied Kinesiology – Funktionelle Myodiagnostik in Osteopathie und Chirotherapie. Elsevier, München.
  9. Klinke, R. et al. (2009) Physiologie. Thieme, Stuttgart.
  10. Levin, L.A.; Arnold, A.C. (2005) Neuro-Ophthalmology. Thieme, New York.
  11. Roll, J.P.; Vedel, J.P.; Roll, R. (1989) Eye, head and skeletal muscle spindle feedback in the elaboration of body references. In: Prog Brain Res. (80), 113-123 & 157-160 (discussion).